Alphaville Fanclub Golden Feeling

Alphaville in Nürnberg

Hirsch, 15.04.2002


Bericht von Torleif Petzolt

Wahnsinnig sagen die Einen, verrückt die anderen. Mir doch egal, für mich geht’s montags nach der Arbeit ab ins von Chemnitz 250 km entfernte Nürnberg, ohne lange Widerrede. Ich war doch so gespannt auf die neuen Arrangements. Einen Begleiter hab ich auch gefunden: Rico aus Mülsen (bei Zwickau) machte dieses Unternehmen mit. Die Fahrt war ohne Probleme in knapp 2 Stunden bewältigt. Viel zu früh waren wir freilich am Ort des Geschehens, machte aber nix, ein Pizzabäcker war nicht weit.

Gegen 19.00 Uhr ging ich dann in den „Hirsch“, da ich den Merchandisingstand vorbereiten musste. Dies war aber diesmal kein grosses Kunststück, denn 3 T-Shirts sind schnell präsentiert. Die Live-Band machte gerade Sound-Check, Marian war noch im Hotel. Direkt neben den eher kleinen Stand von Alphaville bot die Vorband L´image Merchandising feil. Über Poster, CD´s und Aufkleber gabs da reichlich mehr zu verkaufen, man konnte sich fast fragen wer hier nun die Vorband ist. Aber egal, das nette Mädchen, welche den Verkauf machte, gab mir die ersten Einblicke beim Zusammenlegen von T-Shirts, dies studierte ich und brachte es nach paar Anläufen auch ganz gut auf die Reihe. Der Einlass konnte nun beginnen, tat er auch, es war 20.00 Uhr. Für einen Montag strömten immerhin gut 500 Leute in den Saal. Darunter auch eine kleine Fraktion aus Thüringen/Sachsen, die sind ja bekanntlich überall. L’image absolvierten ihren Gig mit Bravour, hat mir sehr gut gefallen, wenn ich sie auch nur hörte, da ich im Vorraum stand. Einige Zeit später begann dann endlich das Konzert. Das Mädchen von L’image (leider kenn ich den Namen nicht) vertrat mich freundlicherweise am Merchandising während des AV-Gigs, somit konnte ich das ganze Konzert aus der letzten Reihe beobachten. Opener war ELEVATOR, Christian Marsac zückte die Mundharmonika, ich war ganz erstaunt, schliesslich gabs sowas noch nie bei AV. Dann kam Marian, der wie immer sehr charismatisch das Ruder für die Dauer des Konzertes übernahm. Zweiter Song war NEW LIGHT von DS 9, sozusagen Deutschlandpremiere. Gegenüber der Demo-Version bis auf den Refrain kaum wieder zu erkennen, aber genial. Mit viel Drum & Bass folgte GUARDIAN ANGEL, wo man erstmals die Leute mitwippen sah. Mit äusserster Power bot man den Song dar, der Applaus war bis dato der lauteste. Glockengeläut: SHADOW SHE SAID, diese Glocken haben seit dem Download auf alphaville.de zu ON THE BEACH ein bleibenden Eindruck gelassen, ich bekomme da Gänsehaut. Marian singt anfangs ganz tief, ab der zweiten Strophe dann in bekannter Art und Weise, Martin & Christian übernehmen den Refrain. MONKEY IN THE MOON: Marian animiert zum Mitklatschen, die Menge steigt ein, erstmals sieht man Ihn strahlen, er wirkt noch sehr starr, wahrscheinlich vor Anspannung. Christian mit Super Gitarren-Zwischenspiel, irgendwie ist das sein Lied, Applaus nach dem Song überwältigend. Dann CARRY YOUR FLAG, eines meiner Lieblingslieder überhaupt. Der Hintergrund der Bühne ist plakatiert mit mehreren Lamellen die von der Decke herunter hängen, auf diesen projektierte der „Light- Man“ Ricky Kay mehrere prominente Persönlickeiten, so z.B. Margot Honecker, Helmut Kohl uva. Die Unplugged-Version beim Fantreffen 2000 gefiel mir aber besser. Genauso bei GIRL FROM PACHACAMAC. Dieser Song ist nicht wieder zu erkennen. Irgendwie passt der Rhythmus ganz und garnicht zu diesem Lied. Die Menge ist auch sehr desinteressiert. Nun aber der erste Song, den wohl jeder der gekommen ist kannte: JERUSALEM, in der Forever Pop Version, Marian wirkte dabei auch schon enthusiastischer. Nun sollte der Bär aber richtig steppen, Marian fragte die Massen: „Are you ready to Rock?“ Das Publikum erwiderte „Yeah“. BIG IN JAPAN: Das Vorspiel ist auf dieser Tour noch länger als bei der letzten, anfangs erkannte es noch niemand, erst als Marian die ersten Wörter sang ging ein Grölen auf. Tobender Applaus am Ende. Schon wollten die ersten T-Shirts kaufen, schon während des Konzertes, das Mädchen von L’image rief mich dazu in den Vorraum. Super Zusammenarbeit. Nun kam aber, ich nehms vorweg mein Lieblingssong des ganzen Konzertes. WONDERFUL THINGS: sicher von der Downlaod-Version als Überhit bekannt. Für mich war das ehrlich gesagt nix. Aber Live ist das nun eine ganz andere Geschichte, dazu noch die Lichteffekte, in rasendem Tempo steuern Sternenpunkte auf Dich zu. Absolut Geil. Danach Miracle Healing, bei dem Song hab ich zu Hause tagelang zugehört, also ohne was anderes anzuhören. Marian sang wieder göttlich, bekanntlich ist das ja sein Lieblingslied, bekommt man auch in der Interpretation mit. Er hängt sich voll rein. Gesanglich kriegt er es aber nicht so hin wie im Studio. Die Party ging weiter mit S.L.A.M.: bei dieser Version konnte ich keinen Unterschied zur letzten Tour feststellen. Im Saal klatscht man Überkopf, als Marian mit der Songpassage „Follow Me“ beginnt. Tobender Applaus. UPSIDE DOWN ist sehr kraftvoll inszeniert, ebenfalls völlig anders zur Demo-Version. Gefällt mir auch sehr gut, auch wenn die Stimmung dadurch wieder abscackt. Bei VICTORY OF LOVE wippt wieder der ganze Saal mit, Alphaville hat nun alle in eine Art Sog gezogen, so scheint es. Tolle Version, die am Ende ohne Pause in WISHFUL THINKING überfliesst, auf der Spotleinwand ein grosser Kopf zu sehen, ich nehm mal an das dies Marian ist. Stimmung ist bombig. Nun war es Zeit für den Augenblick auf den wohl die meisten gewartet haben: FOREVER YOUNG. Marian brauchte den Refrain überhaupt nicht mitsingen, das Mikrofon hielt er obligatorisch in die träumende Menge. Alle Blicke im Saal, auch an der Bar, gingen nun gen Bühne. Für mich war es nun auch Zeit, obwohl noch die Zugaben kamen, den Merchandisingstand aufzusuchen. Dort war dann auch rege Nachfrage nach T-Shirts, am beliebtesten ist freilich das Tour-Shirt, wo alle Städte auf der Rückseite verewigt sind. Gegen 0.30 verliess ich gemeinsam mit Rico den „Hirsch“ gen Heimat. Irgendwie war ich benebelt. Mein nächstes Konzert wollte ich eigentlich in Freiburg, 5 Tage später erleben, ich hielt es aber keine 3 Tage aus, reichte Urlaub ein und nahm noch zwei Konzerte mehr mit.

Fazit: ich bin sehr angetan von der Umsetzung der neuen Songs, wie auch der Klassiker. Alphaville spielen nicht mehr in Turnhallen, sondern in Szene-Klubs mit meist fachkundigen Publikum, dies haben wir der tollen Organisation bei dieser Tour zu verdanken, nicht zuletzt der Konzertagentur A.S.S. und dem ständigen Begleiter Attila Ducsey (Tourminator).

Setlist:

  1. Elevator
  2. New Light
  3. Guardian Angel
  4. Shadows she said
  5. Monkey in the Moon
  6. Carry your flag
  7. Girl from Pachacamac
  8. Jersualem
  9. Big in Japan
  10. Those wonderful things
  11. See me thru
  12. Miracle healing
  13. Sounds like a Melody
  14. Upside down
  15. Victory of love
  16. Wishful thinking
  17. Forever young
  18. First Monday

Fotos von Stephan Fürnrohr Photoalbum Nürnberg

Venuelink: der-hirsch.de


Ausgabe vom Mittwoch, 17. April 2002

Wer hört ihn aus der Engel Ordnungen?

Immer noch und wieder einmal: „Alphaville“ sind auf Tournee, weil sie unsere Welt mit den Heilmitteln des Pop gesund singen wollen.

Münster hieß die ganze Welt, und sie wohnte in einem flauschigen Kopfhörer. Keiner wusste, wo dieses Münster lag, doch wer die Augen schloss und sich den von rechts nach links und retour wandernden Tönen, Geräuschen, Computerbeats anvertraute, der erlebte „Afternoons in Utopia“, der war „Big in Japan“ und vielleicht sogar „Forever young“. Um nichts Geringeres nämlich ist es Marian Gold und Bernhard Lloyd zu tun, seit sie Alphaville gründeten: Ihr synthetischer Pop soll den Beweis erbringen, dass aus Verschlossenheit Freiheit und aus erwachsener Trauer jugendliche Daseinsfreude werden können.

Anfang der achtziger Jahre, als der Kalte Krieg den Rückzug in private Lebenswelten forcierte, verweigerten viele deutsche Gruppen der Neuen Deutschen Welle, die diesen Rückzug vorantrieb, die Gefolgschaft und sangen auf Englisch. Sie alle aber – ob sie nun King Candy, Les Immer Essen oder Fritz Brause hießen – tanzten nur einen Sommer. Zu wenig Eigenes hatten sie den Spaßmachern entgegen zu setzen. Einzig die beiden Jungs aus der westfälischen Provinz wagten den Sprung ins Pathos. Marian Golds in den Strophen männlich dunkle, in den Refrains androgyn hohe, zuweilen gefährlich schrille Stimme sang von den Verlockungen der Nacht, vom Jenseits des Kopfhörers. Dort zogen schwarze Hunde herrenlos durch die Straßen, hoben Engel schützend ihre Hände und war ein Zirkus nie fern. Der Glaube an Utopias heilende Wirkung hatte derart große Ausmaße, dass darin auch die Berliner Mauer und die nukleare Bedrohung ihren Platz fanden. Auf diese Weise geerdet, konnten Gold und Lloyd schließlich in ihrem Song für die Ewigkeit, der natürlich eine Ode an die Vergänglichkeit sein musste, den wahren Satz aussprechen, es schmerze sehr, grundlos alt zu werden. Für immer jung sein schien nach diesem Bekenntnis minutenweise möglich.

„Salvation“, das letzte reguläre Album, liegt bereits fünf Jahre zurück. Mit „Guardian Angel“ enthielt es einen rockig arrangierten Gassenhauer, der nach den Experimenten Richtung Swing und Rap auf den vorherigen Platten den Weg ins neue Jahrhundert wies. Zahlreiche Konzerte zwischen Peru, Salt Lake City, Lissabon, Moskau und Stettin trugen ebenfalls dazu bei, eine härtere Gangart einzuschlagen. E-Gitarre und Schlagzeug brachen die Dominanz des Keyboards. Im einundzwanzigsten Jahr ihres Bestehens und nach diversen Neben- und Solo-Projekten wollen Alphaville nun anno 2002 ihre sechste Platte veröffentlichen. Sie wird denselben Titel tragen wie die in Nürnberg vor knapp 500 Zuschauern begonnene Deutschland-Tour „Miracle Healing“.

Noch immer also gibt es viel zu flicken und zurechtzurücken da draußen, wo die Kopfhörer versagen: Das Wunder der Verjüngung blieb ebenso aus wie das Wunder des Friedens, das der schwärmerische Gold 1986 ausgerechnet an Jerusalem festmachen wollte. Siebenundvierzig Jahre, so geht das Gerücht, sei der Spiritus rector mittlerweile alt, doch das Tattoo auf seinem rechten Oberarm kennt keine Falten. Eine Schlange könnte es darstellen, ein Herz, einen Kampfhahn, und alles wäre richtig: Listig muss sein, wer den Wechsel der Gezeiten überdauern will, und leidenschaftlich und mutig. In Nürnberg hat Gold sich für den Kampfhahn entschieden; er rockt und schwitzt, geht in die Knie und reckt die Fäuste zum Hallendach, stülpt Hände und Lippen nach vorne, als gälte es eine widerspenstige Welt umarmend in sich aufzusaugen. Berserker ist er und Einpeitscher, Macho und Hans-guck-in-die-Luft. Alphaville machen Heavy Metal Synthie Pop mit Sendungsbewusstsein.

Die Vermännlichung, die konsequenterweise einhergeht mit dem Verzicht aufs Falsett, bekommt nicht allen Liedern; „Jerusalem“ ist kaum wiederzuerkennen, die Melodie von „Guardian Angel“ zerschellt am Fels der Brachialität. Im Einklang sind Sänger, Drummer, Gitarrist und Keyboarder hingegen bei der schroffen und gerade deshalb faszinierenden Endzeit-Version des Klassikers „Big in Japan“. Manga-Comics, auf die Leinwand im Bühnenhintergrund projiziert, verstärken das Klima sexistischer Bedrohung. Beim Song zuvor illustrierte ein Zusammenschnitt bekannter Unsympathen von Stalin, Göring, Gaddafi bis Haider, Berlusconi, Arafat die Botschaft von der längeren Dauer des Kriegertums. Am längsten aber währt die Angst des Mannes, kein Kämpfer zu sein, sondern ein Menschlein, dem die Engel entglitten. Dann schlägt er um sich und macht Radau.

ALEXANDER KISSLER