Alphaville Misc

And I Wonder

Dreamscapes Story

Berlin 1993 Jeffrey fragte, ob ich etwas über die Stadt schreiben könnte, bevor die Biosphäre über Europa kam, über mein Leben, über die guten alten Zeiten, so zu sagen. Es war für eine fremde Rockband... Alphaville... nie von ihnen gehört. Aber egal, er ist ein netter Typ, die Zeiten sind hart und ich könnte wirklich ein paar Euros gebrauchen. O.K., das ist meine Geschichte:

Berlin 1977 Kreuzberg, eingeschlossen von Mauer, Todesstreifen, Parks und Kanälen. Eine wirkliche Arche für Verliebte wie Ariane und mich. Drei endlose, heiße Sommer. Wir verfassten Proklamationen, die Kreuzberg als freien Staat erklärten. Wir diskutierten sogar unsere eigene Währung während sogenannten Plenarsitzungen. Nachts spielten Suicide oder die Dead Kennedys im SO36, Blondie und die Simple Minds im Kant-Kino. Es wird gemunkelt, daß Bowie (!!!) in 'rumhängt. Im 'Morgenrot' soff eine Band mit gleichen Namen und mein Mädchen verliebte sich in ihren Schlagzeuger. Das war der einzige Grund, weshalb Michael keine Schwierigkeiten hatte, mich zu überreden, Musiker zu werden statt Maler. Wir träumten davon, eine Auftritt vor der Mauer zu haben.

Berlin 1. Mai 1987. Ich war nicht von Anfang an bei der Straßenparty auf dem Lausitzer Platz. Ich kam nachts dorthin, gerade aus West-Deutschland. Zu der Zeit war es schon ein richtiger Straßenkampf mit Barrikaden, Polizisten mit Krawall-Ausrüstung, Leuten mit glühenden, blut-verschmierten Gesichtern, brennenden Autos, schmelzendem Asphalts, zertrümmerten Scheiben, geplünderten Geschäften, sogar Oma und Opa beteiligten sich. Steinschwärme flogen vorbei, die Straßen waren bedeckt mit zersplittertem Glas, Bierdosen und anderen Ersatz-Wurfgeschossen. Der Supermarkt neben dem Thai-Bordell stand in Flammen. Ein uninteressierter Hund wurde von einem Streifenwagen plattgemacht. Manche rannen herum, gestohlene Bierkästen und Klorollen packend. Teilweise eine blöde Ansicht. Besonders wenn du diese Leute kennst. Sasskia, Günter und ich tranken Whisky vom ausgebrannten Supermarkt. Das flammand-rote Glühen von brennenden Mülltonnen flackerte über ihre Gesichter, wurde mit jedem vorbeifahrenden Polizeiauto zu loderndem blau. Sasskia meinte, sie würde gern einen Polizisten umbringen. Oh süße Sasskia. Später versuchte ich nach Hause zu kommen, den ganzen Weg von der Oranienstraße. Unmöglich. Zwischen Polizeisperren wurden Drinks 'rumgereicht. Pflastersteine, Joints. Manche rannten um ihr Leben, andere tanzten und lachten. Das Spiel war nicht nur mit 'ner Menge Wut und Haß gefüllt, sondern auch mit 'ner Menge Spaß. Deshalb blieb es ein Spiel. Es war bloß eine weitere von diesen gottverdammten Partys. Die, die sich nicht mehr bewegen konnten, wurden entweder verdroschen oder zum Müll geworfen. Selbe alte Geschichte.

Berlin, 2 Jahre später. Es ist wieder der 1.Mai und ich stehe, von ein paar Cognacs gewärmt, auf der Wienerstraße: Die Rebellion ist zu einem Spaß-Jahrmarkt geworden. Gewöhnliche Leute mit überlaufenden Biergläsern füllen die lokalen Kneipen. Touristen erwarten das große Ereignis. Kaum ein bekanntes Gesicht. Polizei patroliert die Straßen. Die Feuerwehr steht bereit und überall sind Mediziner. Eine Freundin hat ihre kleine Tochter mitgebracht. Absurd. Ich nehme die Schlüssel und fahre das Mädchen nach Hause. Als ich zurückkomme ist der Tumult bereits in vollem Gange. Gabi und ich verlassen diese Bühne mit ihren bizarren Rittern. Eine Spur von Gram ein vages Good-Bye. Wir sehen einen langweiligen Film irgendwo in Charlottenburg. Und während ich vor mich auf die Leinwand schaue, sinkt die alte Kreuzberg-Arche langsam unter den Horizont meiner alten, sehnsüchtigen Erinnerungen... es ist so schwer ohne Grund alt zu werden...

Translation: A. Wesche