Alphaville Fanclub Golden Feeling

Alphaville in Aschaffenburg

Colos-Saal, 18.04.2002

Setlist:
  1. Elevator
  2. New Light
  3. Guardian Angel
  4. Shadows she said
  5. Monkey in the Moon
  6. Carry your flag
  7. Girl from Pachacamac
  8. Jersualem
  9. Big in Japan
  10. Those wonderful things
  11. Miracle healing
  12. Sounds like a Melody
  13. Upside down
  14. Victory of love
  15. Wishful thinking
  16. Forever young
  17. First Monday
  18. Dance With Me (Acoustic Version)

Venuelink: colos-saal.de


Ausgabe vom Mittwoch, 17. April 2002

Auch mit grauen Schläfen: »Forever Pop«

Die Wave-Klassiker Alphaville kommen am 18. April nach Aschaffenburg – Aktuelles Remix-Album im Gepäck.

Aschaffenburg. Sie sind älter geworden, schon ein bisschen grau an den Schläfen, Familienväter mittlerweile, aber immer noch treibt sie der Pop um. Für immer Pop. Das zumindest verspricht der Titel des neuesten Lebenszeichens von Alphaville: »Forever Pop« heißt das Remix-Album mit aktualisierten Versionen ihrer bekanntesten Songs, das Alphaville am 18. April im Aschaffenburger Colos-Saal vorstellen will. Hits haben Alphaville in ihrer fast zwei Dekaden umspannenden Geschichte reichlich produziert. Der Sinn aber stand ihnen nach anderem. »Vor 17 Jahren wollte nur die Bravo mit uns sprechen«, erzählte Bernhard Lloyd, die eine Hälfte des vor Jahren zum Duo geschrumpften Berliner Electropop-Projekts. Vor allem Marian Gold, Sänger und kreativer Kopf von Alphaville, hat daran zu knabbern, dass seine Musik weitestgehend nur als Popmusik für Teenager wahrgenommen wird. Dabei haben Alphaville nicht nur einige der schönsten melancholischen Songs in der Geschichte der populären Musik abgeliefert, sondern durchaus Pionierarbeit geleistet, wenn es um die Etablierung von Elektronik als Sprache des Pop geht. Ihre Überzeugung, dass auch Nichtmusiker mit der entsprechenden Technik gute Musik machen können, war einst provokativ, hat sich aber heute durchgesetzt. Im Drang zu Höherem plante Marian Gold schon mal die Verfilmung eines Albums, schließlich hatte er seine Band nach einem Film von Godard benannt. Stets versuchte er, seinem Image zu entkommen. Immer wieder enttäuschte Alphaville die Erwartungen der Medien. Anstatt den Gesetzen des Marktes zu folgen und regelmäßig Singles zu veröffentlichen, brachte man vor drei Jahren eine Box mit neuem Material heraus. Acht CDs stark und 200 Mark teuer. Die 2500 Exemplare von »Dreamscapes« waren nur im Internet zu erwerben, trotzdem schnell vergriffen und werden mittlerweile für das Vier- bis Fünffache ihre Kaufpreises gehandelt. Längst begeben sich Alphaville nicht mehr in die Fänge einer Plattenfirma, sondern produzieren und veröffentlichen in Eigenregie übers Web. So gesehen, beruhte ihr Erfolg immer auf einem Missverständnis. Vor allem aber gründete er sich auf einen Zufall: Als Alphaville im Januar 1984 ihre erste Single »Big in Japan« herausbrachten, gab es noch kein Privat-Fernsehen und kaum Plattformen für Musik im TV. Der Plattenfirma gelang es, Alphaville in einer Jugendreihe des ZDF zu platzieren. »Big in Japan« ging fünf Minuten vor 20 Uhr auf Sendung. In der ARD lief Werbung, die Republik wartete auf die »Tagesschau« und Alphaville hatten einen heute gar nicht mehr vorstellbaren Marktanteil von nahezu 100 Prozent. »Vier Wochen später waren wir Nummer eins«, erzählt Lloyd. »Klar, das wäre nicht passiert, wenn die Nummer Scheiße gewesen wäre. Aber was wäre passiert, wenn wir fünf nach acht auf Sendung gegangen wären?«

Noch heute gehören »Big in Japan« und der darauf folgende Hit »Forever Young« zum Standardrepertoire des formatierten Radios und sorgen mit den Tantiemen von kleineren Hits wie »Sounds Like a Melody« für das Auskommen von Lloyd und Gold, die ursprünglich aus dem Westfälischen nach Berlin gekommen waren. Die beiden leben heute, so Lloyd, »sicherlich gut, aber bestimmt nicht wie Rockstars«. Tatsächlich, glaubt Lloyd, wäre er ohne die Erfindung der elektronischen Klangerzeugung nie Musiker geworden. »Die Computer-Programme spielen besser, als ich das je könnte«, sagte er und will nicht einmal Musiker genannt werden. »Handwerker? Das kommt der Sache schon näher.« Fürs Schöpferische ist eindeutig sein fünf Jahre älterer Partner zuständig. »Ich kenne keinen Menschen, der so viele Ideen hat«, sagt Lloyd über Gold, Lloyds Job ist es, den kreativen Ausstoß seines Kollegen »zu sortieren und umzusetzen«. Die Kombination aus sprunghaftem Künstler und verlässlichem Pragmatiker funktionierte nicht immer so gut. Ende der 80er Jahre, bei den langwierigen Aufnahmen zum dritten Album »The Breathtaking Blue«, stritten sich die beiden so ausdauernd, dass sie im Wechsel jeweils für Monate die Studioarbeit boykottierten. Längst aber macht Lloyd wieder erfolgreich aus den Songentwürfen von Gold Popsongs mit. Um so schwieriger muss es für manchen Remixer gewesen sein, den alten Hits neues Lebens zu geben. »Manchmal war der Respekt zu groß«, glaubt Lloyd, »einige mussten ermutigt werden, ein bisschen radikaler dranzugehen.« Versammelt sind nun vor allem Mainstream-DJs wie Paul van Dyk oder Eiffel 65. Die etwas avancierteren Produzenten wie Todd Terry oder Johannes Heil folgen auf demnächst erscheinenden Vinyl-Editionen. »Forever Pop« ist sofort in die Charts eingestiegen. »Es ist schön«, sagt Lloyd, »dass sich die alten Sachen gut verkaufen, aber auch frustrierend, dass die neuen Songs nicht dasselbe Interesse finden.« Aber was soll man machen, wenn der Fan seine Alphaville-Platten womöglich direkt neben Modern Talking stehen hat. »Deswegen wird meine Platte ja nicht schlechter«, sagt Lloyd. »Forever Young«, das waren Alphaville nie wirklich. »Forever Pop«, das waren sie immer.

THOMAS WINKLER


Ausgabe vom Mittwoch, 20. April 2002

Gefühl versprüht: Big in Aschaffenburg

Klassiker »Alphaville« rockten den Colos-Saal mit alten Hits in aktuellem Outfit

»Alphaville« im gleichnamigen Film des Nouvelle-Vague-Regisseurs Jean-Luc Godard ist ein Ort ohne Gefühl und ohne Empfindungen. Die Menschen werden geknechtet von einem regierenden Zentralhirn. Im Colos-Saal am Donnerstagabend regiert ein zentraler Tanzwille, als »Alphaville« die Bühne betreten.

»Forever Young« hieß 1984 das erste Album der damaligen Studioband. Mittlerweile haben sie ein anderes Motto: »Forever Pop« heißt die neue CD und ist gleichermaßen Lebensauftrag. Marian Gold, der einundvierzigjährige Sänger der Band versteht diesen Auftrag sehr gut, er rockt trotz Körperfülle das Haus. Nach zwei Liedern rinnen Marian Gold die Schweißtropfen von der Stirn, den Besuchern geht es nicht anders. Der Colos-Saal ist vollgestopft mit feierwütigen Menschen.

»Forever Pop« der 80er-Band trägt den Untertitel »The Hits of Alphaville in the Sound of 2001« und verheißt das, was »Alphaville« am Donnerstagabend im Colos-Saal lieferten. Feiner Elekto-80er-Synthie-Pop in Verbindung mit 90er-Jahre-Club-Sound. Die bekannten Songs sind so remixt, dass man sie schnell wegtanzen will und die zuckenden Glieder bewegen. »Eiffel 65«, »De Phazz« und Paul van Dyk haben am neuen Album mitgemischt und die »Alphaville«-Klassiker in ein zeitgemäßes Outfit gepackt.

»Miracle Healing« ist das Motto der aktuellen Tour. Beim gleichnamigen Song leidet Gold in seiner Mimik so richtig schön, dass es eine Wonne ist. Die Balladen offenbaren einmal mehr seine warme atmosphärische Stimme, trotzdem wird das Volksgemurmel laut, es gibt so viel zu erzählen. Manchmal wird die Musik an diesem Abend Nebensache.

Ein fulminantes Lichtspektakel flirrt und tobt passend zur Musik über die Bühne. Mal blubbern blaue Blasen, bei »Big in Japan« räkeln sich halbnackte Mangas. Dann zoomen große Worte auf den Saal zu und bleiben auch mal an der Decke kleben.

»Alphaville« liefern einen Abgeh-Abend, zum schicken Synthesizer zuckeln die Beine und kümmern sich nicht darum, dass im vollbepackten Colos-Saal dafür kein Raum ist. »Alphavilles« Remixe muss man einfach wegtanzen, wenn sie mal loungig, mal poppig, mal spacig auf die Ohren prasseln. »Big in Japan« groovt, Gold schüttelt ekstatisch sein Haar , das mittlerweile kurz ist und wirft auffordernd den tätowierten Arm in die Luft. »Ansonsten Mitsingstimmung bei »It Sounds Like a Melody«, verschmitztes Lächeln im verschwitzten Gold-Gesicht.

Die Gefühllosigkeit in Godards Film hat im Colos-Saal keinen Platz. »Alphaville« versprühen viel Gefühl. Gerade am Ende, als die ersten Töne des größten Hits der Band erklingen und der Saal zu toben beginnt. Gold könnte von der Bühne gehen und sich den Schweiß von der Stirn wischen. Er hält das Mikro weit von sich und der ganze Colos-Saal grölt inbrünstig »Forever Young« mit.

Gold singt sich die Seele aus dem Leib und die Colos-Saal-Menge schwingt sich von einem Bein auf das andere. Die Bühne ist in Blau getaucht und das Keyboard erzählt mit starkem, filmischem Klimpern. Viel Gefühl, viel Pathos, als Hymne für die Unsterblichkeit, die sie doch eigentlich nicht ist, sondern ein sarkastischer Kommentar gegen den Jugendwahn. Egal.

»Let us die young or let us live forever…«, da schwelgt der Fünfzigjährige neben dem Endzwanziger und der Mittdreißigerin. Die Grundstimmung ist für alle klar: Der Himmel kann warten. Auch wenn der Körper langsam verwelkt und Falten wirft, wir bleiben jung. Innendrin. In unseren Gedanken und Sehnsüchten. Und bei Konzerten im Colos-Saal.

"Die Kinder der Achtziger"
Mit der Kraft der ewigen Jugend:
"Alphaville" im Aschaffenburger Colos-Saal
FAZ - Lokal Rhein-Main (Apr. 2002)
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